Bernhard Heine - von
Königen geehrt und von Zar Nikolaus
umworben
d'Kräz 9 (1989)
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Keine andere Familie
aus dem Schramberger Raum hat so viele bedeutende
Mediziner hervorgebracht wie die Heines, deren Ahnherr
Johannes aus Vöhrenbach um die Wende vom 17. zum
18. Jahrhundert nach Hardt gekommen war, wo er den noch
heute so benannten "Wälderhof" betrieb. Sein Sohn
Joseph war Bierbrauer und zog 1758 nach Schramberg und
1770 nach Lauterbach, in die Heimatgemeinde seiner
Ehefrau Anna Maria Katharina, geb. Haberstroh. Von den
zahlreichen Kindern aus dieser Ehe war zweifellos der
im April 1771 in Lauterbach geborene Johann Georg
Heine, der Vater der Orthopädie in Deutschland,
das bedeutendste. Sein Leben und sein Werk wurden in
der "Kräz" No. 8 (1988) gewürdigt.
Abb.1: Stammtafel der Heines
aus Lauterbach)
Der vorliegende Beitrag
beschäftigt sich mit einem Enkel von Joseph und
Anna Heine, dem am 20. August 1800 in Schramberg
geborenen Bernhard Heine, Sohn des Franz Xaver Heine
und der Maria Johanna Kräutle aus Schramberg.
Mit Bernhard Heine begegnet uns ein Mediziner, der
sowohl in der medizinischen Fachwelt, als auch in der
späteren Heimatforschung über die Familie
Heine im Schatten seines berühmten Onkels Johann
Georg stand. Diese letztere Tatsache hat wohl darin
ihren Grund, dass der Neffe seine medizinische Laufbahn
unter der Protektion des Onkels begann, sodass sein
Aufstieg vom Sohn eines Weißgerbers zu einem in
ganz Europa bedeutenden Arzt und Forscher schon nicht
mehr so ungewöhnlich war, wie der des
Messerschmiedes Johann Georg Heine zum bedeutendsten
Orthopäden des 19. Jahrhunderts. Die
zurückhaltende Beurteilung von Bernhard Heines
Leistungen durch die Mediziner hat andere Gründe,
wie noch gezeigt werden soll.
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Abb.2: Bernhard Heine
Bildquelle s. Lit.-Verz. (3)
|
Es ist die Aufgabe des vorliegenden
Beitrags zu zeigen, dass Bernhard Heine in vielen
Bereichen der Medizin weit über die Leistungen und
Erkenntnisse seines Onkels hinausgelangt ist. War
Johann Georg Heine der Handwerker, der zum Chirurgen
wurde und schließlich in kühner
Selbstüberschätzung glaubte, alle Bereiche
der Medizin beherrschen zu können, so tritt uns
mit Bernhard Heine der gründlich geschulte
Orthopäde gegenüber, der seine handwerklichen
Fähigkeiten durch exakte wissenschaftliche
Forschungen und durch geniale technische Erfindungen
ergänzt, und schließlich zu noch heute
gültigen Forschungsergebnissen auf dem Gebiet der
Physiologie gelangt.
Es ist sicher kein Zufall, dass Bernhard Heine erst
nach dem Wegzug seines Onkels in die Niederlande (1829)
mit seiner bedeutenden Erfindung, dem Osteotom, von dem
noch die Rede sein wird, an die Öffentlichkeit
tritt, und zu einem in ganz Europa anerkannten
Mediziner wird.
Die Würzburger Lehrjahre (1810 - 1822)
Obwohl wir keine Quellen
darüber besitzen, ist anzunehmen, dass die
großen Erfolge Johann Georg Heines in
Würzburg auch den Schramberger und Lauterbacher
Verwandten bekannt waren. Und so ist es auch zu
verstehen, dass die Eltern Bernhard Heines ihren Sohn
bereits im Alter von zehn (nach anderen Quellen
dreizehn) Jahren zur Ausbildung nach Würzburg
schicken. Es ist die Zeit, in der die Heinesche
Werkstatt durch die Folgen der andauernden Kriege einen
regelrechten "Boom" erlebt, und Johann Georg Heine kann
wohl jede Hilfe brauchen. So bildet er seinen 1801
geborenen Sohn Joseph und auch den Neffen Bernhard zu
Orthopädiemechanikern aus. Der junge Bernhard
ergänzt die Mechanikerlehre bald durch
wissenschaftliche Studien an der
Julius-Maximilians-Universität, obgleich es keinen
Nachweis für eine ordnungsgemäße
Immatrikulation gibt. Auch ein Studienabschluss oder
eine Promotion ist nirgends belegt. Sicher hat Bernhard
Heine aber auf Fürsprache seines Onkels hin
Zutritt zu anatomischen Vorlesungen und vor allem zu
praktischen Vorführungen in der Chirurgie. Dazu
kommt die dauernde Praxis in der orthopädischen
Heilanstalt des Onkels im 1816 eröffneten
Karolinen-Institut, wo Bernhard bald mit wichtigen
Aufgaben betraut wird. Der Zwanzigjährige
unternimmt zahlreiche Reisen, um seine medizinischen
Kenntnisse zu vertiefen, und kehrt schließlich
1822 an das Karolinum zurück, um die Leitung der
Werkstätten und eines Teils der Heilanstalt zu
übernehmen. Nach dem Wegzug Johann Georgs nach
Holland übernimmt der Neffe Bernhard die
Gesamtleitung des Karolinen-Instituts.
Bernhard Heines bedeutende Erfindung:
Das Osteotom
Seit 1824 beschäftigt sich
Heine damit, die Technik bei Operatio- nen an Knochen
zu verbessern. "Mit Widerwillen sah ich," schreibt er
später, "die mühevolle Arbeit an, mit der an
Leichen der Rückenmarkkanal geöffnet wurde,
und dieses Verfahren zu erleichtern erfand ich eine
Scheibensäge, die aber ihrem Zwecke nicht
entsprach. Nach vielen fruchtlosen Versuchen stellte
ich mir die etwas paradoxe Frage: warum behandelt man
denn die Knochen nicht mit dem Messer, wie die weichen
Theile?" In der Knochenchirurgie wird weitgehend mit
Hammer und Meißel, oder - beispielsweise bei der
Öffnung der Schädeldecke - mit dem Trepan,
einer Art Bohrer, gearbeitet. Auch Knochensägen
der verschiedensten Art waren bereits erfunden, wurden
jedoch meist nur vom Erfinder selbst und mit geringem
Erfolg angewandt. Es ist das Verdienst Bernhard Heines,
nach jahrelangen Versuchen den Chirurgen seiner Zeit
ein Instrument an die Hand zu geben, das die operative
Technik revolutioniert. Hören wir das begeisterte
Echo, wie es in der noch zu Heines Lebzeiten
erschienenen Dissertation über das Osteotom zum
Ausdruck kommt:
"So reich die Chirurgie an neuen
Erfindungen ist, so steht doch gewiss einzig, alle
andern weit überstrahlend, das von Hrn. Dr. Heine
in Würzburg erfundene Osteotom da, ein Instrument,
einst gewiss jedem Operateur unentbehrlich."
(Carl Noodt, Das Osteotom und seine
Anwendung, Diss. München 1836).
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Abb.3: Das von Bernhard Heine erfundene Osteotom
(1830)
Bild: Deutsches
Orthopädisches
Geschichts- und Forschungsmuseum
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Es ist nicht die Aufgabe dieses
Beitrags, das Instrument in seinen Einzelheiten zu
beschreiben, zumal es in der heutigen Chirurgie keine
Verwendung mehr findet. Die beiden Abbildungen (4a und
4b) sollen genügen. Sie zeigen zum einen das
Instrument mit dem vielfältigen Zubehör (Abb.
4a) und die Anwendung bei einer Kieferoperation
(Abb.4b).
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Abb.4a: Osteotom mit Zubehör, Abb.4b: bei
der Anwendung
Bildquelle s. Lit.-Verz. (3)
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Wohl aber ist es wichtig, die
Wirkung zu zeigen, die Bernhard Heine mit seiner
Erfindung weit über Würzburg, ja weit
über Deutschland hinaus, gehabt hat. Im August
1830 stellt er das Osteotom der medizinischen
Fakultät der Würzburger Universität vor
und demonstriert es zunächst an toten und lebenden
Tieren. Im Oktober des folgenden Jahres reist er nach
München und zeigt seine Erfindung den dortigen
Chirurgen mit dem gleichen Erfolg wie in Würzburg.
Jetzt hat Heine auch bereits die erste erfolgreiche
Operation an einem lebenden Menschen durchgeführt,
und das Instrument wird von anderen bedeutenden
Chirurgen verwendet. Heines Mentor, der Leiter des
Würzburger Juliusspitals Cajetan von Textor,
operiert mit dem Osteotom ebenso wie Heines Freund
Bernhard Demme, der 1832 in Warschau zahlreiche
Verwundete des polnischen Aufstandes behandeln muss.
Das Jahr 1833 führt Heine erneut nach
München, aber auch nach Breslau, Wien und Jena, wo
er überall hohe Anerkennung für seine
Erfindung erfährt. Die Werkstatt in Würzburg
kommt mit der Fertigung von Osteotomen den laufend aus
ganz Europa eintreffenden Bestellungen kaum nach. Der
Doktorand Noodt zählt bis zum Jahr 1835 insgesamt
60 Operationen in vielen europäischen Städten
auf. Auch Heines Vetter Joseph, der inzwischen in
Bamberg praktiziert, benutzt 1835 das Osteotom.
In Frankreich, dem Land, das in der Medizin vor allen
anderen europäischen Ländern rangiert, wird
man auf Bernhard Heine aufmerksam. Er erhält eine
Einladung nach Paris, wo er 1834 sein Instrument, aber
auch Knochenpräparate aus seiner Würzburger
Sammlung vorführt und die höchste Anerkennung
bei den französischen Ärzten findet. Die
französische Akademie der Wissenschaften verleiht
ihm zwei Jahre später am 18. Juli 1836 für
seine Erfindung den Preis für Medizin und
Chirurgie, der mit 2000 Francs dotiert ist.
Nun will auch die heimische Universität in
Würzburg nicht nachstehen und verleiht dem
erfolgreichen Mediziner die Ehrendoktorwürde der
medizinischen Fakultät. Ganz im Stil der Zeit
schwelgen die Zeitgenossen in kühnen
Vergleichen:
"Den
großen Newton führte der fallende Apfel
auf das Gesetz der Gravitation, und in einer
Beziehung ist dieser Vergleich nicht zu gewagt, wenn
man weiß, dass auch ein .... geringfügiger
Umstand unsern H. auf eine Erfindung leitete, die,
wie jenes Gesetz in der Astronomie, in den Annalen
der Chirurgie Epoche machen sollte..."
(Aus dem Nekrolog auf Bernhard
Heine).
Heirat mit Cousine Anna und Reise nach St. Petersburg
Am 22. Juli 1837 heiratet
Bernhard Heine in Würzburg seine Base Anna Heine,
die Tochter seines Onkels und Lehrmeisters Johann
Georg. Dieser muss der Eheschließung wohl
jahrelang Widerstand geleistet haben, obwohl er seit
1829 in den Haag und Scheveningen weilt. Bernhard Heine
hat jetzt wohl durch den persönlichen Erfolg mit
dem Osteotom den nötigen Mut gefunden, um sich
gegen den Onkel durchzusetzen, zumal dieser in jener
Zeit durch den Misserfolg seiner kühnen Planungen
in Holland und die sich abzeichnende Krankheit, die
1838 zum Tod führt, an Einfluss
eingebüßt haben mag. Wir wissen nur sehr
wenig über Anna Heine, die älteste Tochter
des Johann Georg Heine und der Anna Förtsch aus
Würzburg. Es ist bezeichnend für die
Berichterstattung aus jener Zeit, dass die Ehefrauen
berühmter Männer in den Annalen kaum
Erwähnung finden. Immerhin wissen wir, dass Anna
Heine mit ihrem Mann zusammengearbeitet hat, denn die
noch zu erwähnende Sammlung von
Knochenpräparaten ist mit Beiblättern
versehen, die von ihr beschriftet wurden.
Anna hat ihren Mann um fast vier Jahrzehnte
überlebt, sie stirbt am 6. Februar 1884 in
Würzburg. Aus der Ehe gehen zwei Kinder hervor:
die 1842 geborene Anna und der 1843 geborene Carl.
Letzterer bleibt ledig, wird königlich
württembergischer Regierungsassessor in Stuttgart,
wo er 1889 verstirbt. Er ist wie seine Eltern in
Würzburg begraben; beim Denkmal für Johann
Georg Heine weisen Grabplatten auf Bernhard, Anna und
Carl Heine hin. Seine Schwester Anna heiratet 1862 in
Würzburg den Freiherrn August von
Koenig-Warthausen, der später Staatsrat und
Direktor im königlich württembergischen
Außenministerium war. Die Baronin muss bis in die
zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts gelebt haben, denn
sie hat die noch zu erwähnende
Veröffentlichung über das Werk ihres Vaters
noch als 86jährige gefördert. Über den
Vater konnte sie sicher nur wenig Persönliches
berichten, da sie bei seinem Tod erst vier Jahre alt
war.
Einen Tag nach der Hochzeit reist Bernhard Heine nach
Russland, um auf Wunsch des Zaren Nikolaus den
russischen Medizinern sein Osteotom vorzuführen.
Ehrenvoll wird er in St. Petersburg empfangen, der Zar
macht ihm ein großzügiges Angebot: Heine
soll orthopädischer Leiter der kaiserlichen
Erziehungsanstalt in Kronstadt werden. Trotz der
überaus günstigen Bedingungen lehnt Heine ab,
bleibt aber ein halbes Jahr in St. Petersburg, um die
russischen Ärzte in der Handhabung des Osteotoms
zu unterweisen. Mit hohen Ehrungen und 6000 Gulden aus
der kaiserlichen Schatulle kehrt Heine 1837 nach
Würzburg zurück. Im gleichen Jahr gehen 90
Osteotome nach Russland. Bernhard Heine steht auf einem
ersten Höhepunkt seiner Laufbahn.
Zahlreiche Ehrungen und Ernennungen
Nach der Rückkehr aus
Russland wird Bernhard Heine 1838 vom bayerischen
König Ludwig I. zum "Professor honorarius für
Orthopädie und die Operationslehre mit dem von ihm
erfundenen Osteotome" ernannt. Zugleich zeichnet ihn
der König mit dem goldenen Zivildienstehrenzeichen
aus. Weitere Auszeichnungen außerhalb Bayerns
unterstreichen die große Bedeutung, die man dem
Schramberger Weißgerbersohn beimisst. Aus der
Hand des preußischen Königs Friedrich
Wilhelm III. erhält Heine die Große Goldene
Ehrenmedaille der preußischen Akademie der
Wissenschaften, der württembergische König
Wilhelm I., zu dessen Königreich der Geburtsort
Heines inzwischen gehört, schenkt ihm einen
Brillantring. Vom österreichischen Kaiser
erhält Heine gleichfalls eine Große Goldene
Ehrenmedaille.
Die Ernennung zum Ehrenprofessor und der Lehrauftrag an
der Julius-Maximilians-Universität bringen auch
Veränderungen in Heines beruflicher
Tätigkeit. Um sich ganz den medizinischen
Forschungen widmen zu können, schließt er
1838 - im Todesjahr des Onkels und Schwiegervaters
Johann Georg - das Karolinum, behält aber seine
Wohnung dort.
Die große wissenschaftliche Leistung:
Forschungen über Knochenbildung
Während die Zeitgenossen
in Bernhard Heine vor allem den genialen Erfinder des
Osteotoms und den geschickten Lehrmeister in seiner
Benutzung sahen, misst die Nachwelt seiner
Forscherarbeit und deren Ergebnissen weit mehr
Bedeutung zu. Man weiß heute, dass Heine von
Anfang an neben der "handwerklichen" Frage, die
schließlich zur Erfindung des Osteotoms
führte, auch die wissenschaftliche Frage bewegt
hat, die man auf die kurze Formel bringen kann: "Wie
entstehen die Knochen und wie geht die Neubildung von
Knochen nach Verletzungen (Knochenregeneration) vor
sich?". Auch hier wird die heimatgeschichtliche
Betrachtung nicht zum medizinischen Fachaufsatz werden
dürfen, zumal sowohl dem Verfasser, wie auch den
meisten Lesern die hierzu nötigen Fachkenntnisse
fehlen. Soviel kann aber auch der Laie den Urteilen der
Fachmediziner entnehmen: Bernhard Heine ist vom
"Basteln" mit einem technischen Instrument - dem
Osteotom - zum wissenschaftlich forschenden
Experimentieren gekommen und ist dabei zu Erkenntnissen
ge- langt, die bis heute Gültigkeit haben. Hierzu
muss man einen kurzen Blick auf die Methoden der
Medizin vor Heines Zeit tun. Der schon zitierte
Doktorand Carl Noodt formuliert so:
Geläutert von dem, dem
vorigen Jahrhunderte eigenthümlichen, Bombast
der ingredienzreichen Salben und Pflaster, der
complicierten Instrumente und Bandagen, hat sich die
neuere Chirurgie, gleich einem Phönix, aus der
Asche des vorigen Saeculums erhoben. Dank! den
Männern, die, .... in unserer hohen, herrlichen
Kunst den Haarbeutel verbannten, die nur die der
Natur am nächsten liegenden Mittel zu ihrem
Heilzwecke verwandten und den sonderbaren Spalt
zwischen Medizin und Chirurgie vereinten."
Es war die durch die Schellingsche
Naturphilosophie geprägte Medizin des 18. und der
ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, die alle
natürlichen Vorgänge, also auch Krankheiten,
als das Ergebnis von Wechselwirkungen in der Natur
ansah. Da aber in diesem Lehrgebäude die Gesetze
der Natur mit dem menschlichen Geist erfaßt
werden können, kann auch die Heilung von
Krankheiten auf "spekulativem" Weg ersonnen werden.
"Romantische Medizin" hat man sie auch genannt, es
herrscht die "graue Theorie", jegliches Experimentieren
wird als unnötig abgetan.
|
Abb.5: Titelseite der wichtigsten
Veröffentlichung über die Arbeit
Bernhard Heines (1926)
|
Ein bezeichnendes Beispiel für
die praxisfeindliche Haltung der "romantischen
Mediziner" ist die Geringschätzung der
Auskultation, d. h. des Abhörens von Organen mit
dem Ohr - das Stethoskop wird erst 1819 erfunden.
Dieses Verfahren war bereits um die Mitte des 18.
Jahrhunderts eingeführt worden, war aber zu Beginn
des 19. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten, ja die
die wenigen Ärzte, die es praktizierten, wurden
verspottet.
In diese Zeit wird Bernhard Heine hineingeboren. Bei
seinem Onkel und Lehrmeister Johann Georg lernt er die
orthopädische Praxis kennen. Den "romantischen"
Theoretikern , die es auch in Würzburg gibt, setzt
er die experimentelle Praxis entgegen. Die
Demonstration des Osteotoms ist stets begleitet von
einer Vorfüh- rung von Knochenpräparaten,
meist von Hunden, mit denen Heine die
Anwendungsmöglichkeiten des Instrumentes
demonstriert. Diese Präparate gehören aber
auch zu den Versuchsreihen, die Heines Frage nach der
Knochenregeneration beantworten sollen. An einer
Vielzahl von sehr unterschiedlichen Knochen macht der
Forscher Versuche, die nach dem damaligen Stand der
Wissenschaft einmalig waren, und widerlegt die bis
dahin gültigen falschen Theorien zur
Knochenbildung, aber bestätigt auch richtige
Theorien, die ohne experimentellen Nachweis von
"romantischen" Medizinern aufgestellt worden waren. Und
er legt seine Ergebnisse der medizinischen
Öffentlichkeit zur Begutachtung vor. 1838 reicht
Heine eine Schrift "Recherches sur la
régénération des os" (Forschungen
über die Neubildung von Knochen) bei der Pariser
Akademie der Wissenschaften ein, und erhält am 13.
August jenes Jahres unter dreizehn Bewerbern den ersten
Preis für experimentelle Physiologie. In dieser
Arbeit stellt er seine Versuche ausführlich dar
und kommt zu wichtigen Ergebnissen, was die Frage der
Knochenregeneration betrifft. Das Fazit für den
Nichtmediziner kann man etwa so zusammenfassen: Heine
beweist, was bislang als Theorie galt, dass die
Knochenhaut (das Periost) bei der Knochenneubildung
eine wesentliche Rolle spielt, und dass somit bei
Operationen die Knochenhaut zu schonen ist, um eine
möglichst gute Neubildung von Knochensubstanz zu
erreichen. Diese Erkenntnis hat bis in die heutige Zeit
Gültigkeit behalten, wenngleich andere
Erkenntnisse Heines der späteren Forschung nicht
standgehalten haben.
Die Heinesche Sammlung von Knochenpräparaten
Leider war es Bernhard Heine
nicht möglich, seine Forschungsergebnissse in
einer zusammenfassenden Arbeit zu veröffentlichen.
Er ist zu sehr mit Experimentieren und Sammeln von
Präparaten beschäftigt. Es ist das Verdienst
des Berliner Chirurgen August Bier - der übrigens
auch der "Erfinder" des Stahlhelms gewesen ist - in den
ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, die Heinesche
Sammlung von Knochenpräparaten in Würzburg
der Medizin wieder zugänglich gemacht zu haben.
Zwei Berliner und zwei Würzburger
Assistenzärzte veröffentlichen als
Festschrift zur 50. Jahrestagung der Gesellschaft
für Chirurgie 1926 eine umfangreiche Dokumentation
der Heineschen Präparate, wobei sie vor allem im
biographischen Teil von Heines Tochter Anna von
Koenig-Warthausen unterstützt werden. (Abb 5).
Hier werden Präparate teilweise in Fotografien
abgebildet und die von Heines Frau beigegebene
Beschriftung abgedruckt. Auch als Laie gewinnt man
einen guten Einblick in die exakte und streng
wissenschaftliche Arbeit. Da ist beim jeweiligen
Präparat jede Einzelheit des Versuchsablaufs und
der Befund festgehalten. Die Sammlung wurde von Heines
Witwe Anna an die Anatomie der Würzburger
Universität gegeben, dort war sie 1926 noch
vorhanden. Inzwischen sind nur noch 45 Präparate
vorhanden und werden im Museum der Orthopädischen
Universitätsklinik Würzburg
ausgestellt.
Die letzten Jahre und der frühe Tod
Seit 1838 ist Heine, wie
berichtet nicht mehr als Orthopäde tätig,
Sondern widmet sich ganz seinen Forschungen und
Vorlesungen. 1844 wird an der medizinischen
Fakultät der Würzburger Universität ein
Lehrstuhl für ein neues Fach eingerichtet:
Experimentalphysiologie. In einem langen Gutachten
begründet der Senat gegenüber dem bayerischen
König die Notwendigkeit und schlägt zugleich
den ersten Lehrstuhlinhaber vor: Bernhard Heine, und
der König ernennt diesen zum
außerordentlichen Professor. Dies ist zweifellos
der zweite Höhepunkt seiner Laufbahn. Umso
tragischer ist es, dass der berufliche Erfolg bereits
von einer sich abzeichnenden schweren Krankheit
überschattet wird. Heine, der schon jahrelang an
wiederholten Schwächeanfällen leidet, wird
tuberkulosekrank, erleidet immer wieder starke
Hustenanfälle mit Blutauswurf, sodass er in den
Jahren nach 1844 zeitweise den Vorlesungsbetrieb
unterbrechen muss. Im Sommersemester 1845 und im
Wintersemester 1845/46 liest er überhaupt nicht
und muss im April 1846, nachdem er wieder zu lesen
begonnen hat, um Urlaub bitten. In einer Art
Todesahnung macht er sein wissenschaftliches Testament:
Er schickt ein Paket mit Aufzeichnungen an die Pariser
Akademie, um auf diese Weise seine Rechte an den
gewonnenen Erkenntnissen zu sichern. Diese
handschriftlichen Aufzeichnungen, aber auch die
früheren Arbeiten Heines, die er der Akademie,
vorgelegt hatte, schlummern fast einhundert Jahre in
den Archiven der Akademie und werden erst von den
obengenannten Forschern der Festschrift des Jahres 1926
wieder entdeckt und veröffentlicht. So ist es zu
erklären, dass die wichtigen Ergebnisse Bernhard
Heines zur Knochenregeneration in den Jahrzehnten nach
seinem Tod nur unzureichend gewürdigt wurden.
Heines Freund Bernhard Demme, der von Warschau nach
Bern gewechselt ist, lädt ihn in die Schweiz ein.
Dorthin reist der Todkranke Ende Juli 1846. In
Glockenthal bei Thun erleidet er am 31. Juli einen
Blutsturz, von dessen Folgen er sich nicht mehr erholt.
Seine Leiche wird nach Würzburg gebracht und am 8.
August unter großer Anteilnahme zahlreicher
Wissenschaftler und der Bevölkerung beigesetzt.
Ein Jahr später wird bei dem Grab eine
Bronzeplatte angebracht, die ein Osteotom zeigt und
Heines Leistungen würdigt. Sie wird bald darauf -
wie der aufgebrachte Chronist berichtet - "von
ruchloser Hand entfernt." Heute erinnert beim (Johann
Georg) Heine-Denkmal eine Grabplatte mit folgendem Text
an Bernhard Heine:
Hier ruhet
Dr: Bernhard Heine
Schöpfer in d: Orthopädie
Endecker in d: Physiologie
Erfinder des Osteotoms
Der treuste Freund
Der reinste Mensch
geb: d: 20: August 1800.
gest: d: 31: Juli 1846.
|
|
Bernhard Heine - der Forscher und der Mensch
"Wenn Ernst und
Gründlichkeit als charakteristische Zeichen
deutscher Forscher gelten, so war Heine ein
würdiger Vertreter seines Volkes".
So heißt es im Nekrolog des
Würzburger Arztes K. F. von Markus, der in der
Augsburger Allgemeinen Zeitung an Weihnachten des
Jahres 1846 veröffentlich wurde. Wenn man
weiß, dass Heine aus dem Schwarzwald stammte,
kann man sicher zum Ernst und zur Gründlichkeit
den Fleiß als weiteres Merkmal hinzufügen.
Er muss von jungen Jahren an ein unermüdlicher
Arbeiter gewesen sein. In einem Alter, in dem heute von
den jungen Menschen über die Schularbeit hinaus
nur wenig Arbeitseinsatz verlangt wird, wird er, wenn
auch zu Verwandten, in die Fremde geschickt, und
beginnt eine praktische und theoretische Ausbildung.
Wir wissen nicht viel über ein Privatleben, nicht
nur weil die Quellen darüber schweigen, sondern
auch weil für Bernhard Heine das Privatleben keine
große Rolle gespielt haben dürfte. Als
strenggläubiger Katholik wird er bezeichnet, als
charakterfest und tolerant. Eine große
Bescheidenheit lässt sich gleichfalls aus den
wenigen zugänglichen Originaltexten
erschließen. Die Eskapaden der letzten Jahre
seines Onkels und Schwiegervaters Johann Georg Heine
hat er sicher ebenso wenig gutgeheißen wie dessen
Sohn Joseph. Gerade hier wird noch einmal der Wandel in
der medizinischen Wissenschaft deutlich, den nicht
zuletzt auch Bernhard Heine mit seiner Arbeit
beeinflusst hat. Ihm wäre es nie in den Sinn
gekommen, sein eigenes wissenschaftliches Fach- gebiet
zu verlassen und sich Zuständigkeiten in fremden
Bereichen anzumaßen.
Der frühe Tod und die damit zusammenhängende
Tatsache, dass Bernhard Heine keine umfassende
Veröffentlichung seiner bis heute gültigen
Erkenntnisse vorlegen konnte, hat dazu geführt,
dass man in ihm vor allem den Erfinder des Osteotoms
gesehen hat. Nachdem dieses Instrument heute nur noch
als Museumsstück interessant ist, da es inzwischen
durch andere Operationsmethoden ersetzt wurde, liegt
die eigentliche Bedeutung Bernhard Heines in seinen
Forschungsergebnissen zur Physiologie der Knochen, und
hiermit nimmt er seinen Platz ein in der Reihe der
großen Mediziner mit dem Namen Heine, wie seine
Vettern Joseph und Jacob, sowie dessen Sohn Carl
Wilhelm, von denen in späteren Beiträgen die
Rede sein soll.
Obgleich der Schramberger Bernhard Heine, ebenso wie
der Lauterbacher Johann Georg Heine, mit großer
Wahrscheinlichkeit nach dem Wegzug nach Würzburg
nicht mehr in die Heimat zurückgekommen ist, kann
Schramberg stolz sein auf einen großen Sohn, der
von hier aus in die Welt zog und zu einem bedeutenden
Arzt und Forscher wurde.
Literatur (Auswahl):
(1) Noodt, Carl:
Das Osteotom und seine Anwendung, Dissertation
München 1836
(2) Voigt, B.F. (Hg.):
Neuer Nekrolog der Deutschen, 24 Jg. (1846), Weimar
1848
(3) Vogeler, Redenz, Walter, Martin:
Bernhard Heines Versuche über Knochenregeneration,
Berlin 1926 (siehe Abb. 5)
(4) Leis, Walter Rolf:
Bernhard Heine - Seine Leben und Wirken in
Würzburg - Seine Bedeutung für unsere Zeit,
Dissertation Würzburg 1971
(5) Rütt, August:
Die Orthopädie des 19. Jahrhunderts in
Würzburg, in Mainfränkisches Jahrbuch
für Geschichte und Kunst, 23(1971), S. 117 -
128
Benutzt wurde auch das "Heine-Archiv" der Gemeinde
Lauterbach, der hiermit für die Bereitstellung
gedankt sei.
Inhaltsverzeichnis
- Die Würzburger Lehrjahre (1810 - 1822)
- Bernhard Heines bedeutende Erfindung: Das
Osteotom
- Heirat mit Cousine Anna und Reise nach St.
Petersburg
- Zahlreiche Ehrungen und Ernennungen
- Die große wissenschaftliche Leistung:
Forschungen über Knochenbildung
- Die Heinesche Sammlung von Knochenpräparaten
- Bernhard Heine - der Forscher und der Mensch
Zeittafel
|
1800
|
Aug 20 in Schramberg geboren
|
1801
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Anna geboren
|
1803
|
Joseph geboren
|
1813
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Übersiedelung nach Würzburg zu Onkel
J.G.H.
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1824
|
Beginn der Überlegungen zum Osteotom das
Ost. vorgestellt
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1828
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Heine übernimmt die Leitung des Karolinums
|
1831
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Oktober: ebenso in München, 3 Op. in
München, 1 in Berlin erste Operationen an
lebenden Menschen mit dem Osteotom
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1831
|
Dezember: Erteilung eines Privilegiums durch den
bayr. König
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1832
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Heine in Jena/ Textor operiert in WÜ Demme
operiert in Warschau (poln. Aufstand)
|
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1833
|
Heine in München, Breslau, Wien, Jena
|
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1834
|
Heine führt das Instrument der Akademie der
Wissenschaften in Paris vor. Er zeigt auch
Knochenpräparate aus seinenVersuchsreihen.
Begeisterte Zustimmung der frz. Ärzte
|
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1834
|
Heine in Jena
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1835
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Demme in Bern, Textor operiert in WÜ, Heine
führt das Osteotom, Joseph Heine operiert in
Bamberg
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1836
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Juli 18: Heine erhält den Mothyon-Preis
(2000 Francs)
|
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1836
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Ehrendoktor der Univ. Würzburg
|
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1837
|
Starke Nachfrage nach dem Osteotom, das von Heine
in Würzburg hergestellt wird
|
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1837
|
Heirat mit seiner Base Anna Heine (nachdem JGH
jahrelang Widerstand geleistet hatte)
|
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1837
|
Juli: Reise nach Russland - Angebot des Zaren
Nikolaus Orthopäde in Kronstadt zu werden
abgelehnt Aufenthalt in Petersburg 1/2 Jahre
|
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1838
|
August 13: Heine erhält den Preis der
Akademie der Wissenschaften in Paris
|
|
1838
|
Ernennung zum Ehrenprofessor der Univ. WÜ
durch den bayerischen König Ende des
Karolinums - H. wohnt nur noch dort
|
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1843
|
Aug 07 Geburt des Sohnes Carl
|
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1844
|
Ernennung zum außerordentlichen Professor
für Experimentalphysiologie
|
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1845
|
Verschlimmerung der Krankheit
|
|
1846
|
Aufzeichnungen an die Pariser Akademie geschickt,
Urlaub in der Schweiz auf Einladung Demmes
|
|
1846
|
Juli 31: Blutsturz und Tod im Glockental bei Thun
am Thuner See
|
|
1846
|
August 08: Begräbnis in Würzburg
|
|
|