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Joseph Heine - Mediziner, Politiker und Kunstmäzen

D'Kräz 13(1993)

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Fünf bedeutende Mediziner des 19. Jahrhunderts haben ihre Wurzeln in Lauterbach. Sie sind Nachkommen des Bauern und Bierbrauers Joseph Heine (1732-1820) und seiner Frau Anna Maria Katharina geb. Haberstroh (1738-1815). In "D'Kräz" Nr. 8 (1988) wurde die Bedeutung Johann Georg Heines, des Vaters der Orthopädie in Deutschland, dargestellt. Seinen Neffen Bernhard und Jakob Heine galt das Interesse in den Heften 9 bis 11. In Heft 12 (1992) wurde mit Jakob Heines Sohn Carl Wilhelm einer der großen Chirurgen des 19. Jahrhunderts gewürdigt. Als letzter soll in dem nun folgenden Beitrag Joseph Heine, der nach dem Großvater benannte Sohn von Johann Georg Heine, vorgestellt werden. Obwohl er in Würzburg geboren ist und wahrscheinlich unseren Raum nie besucht hat, ist er wegen seiner Beziehung zum Vater und zu anderen Mitgliedern der Familie Heine, aber auch als Mediziner, Politiker und Kunstmäzen des heimatgeschichtlichen Interesses wert.

(Abb.1: Stammtafel der Heines aus Lauterbach )

Zur Quellenlage sei noch eine Bemerkung vorangestellt: Wie bereits in "D'Kräz" Nr. 12 erwähnt, befasst sich der in Waldmössingen niedergelassene Arzt Heinz Hansen in seiner inzwischen fertiggestellten Dissertation mit den fünf Vertretern der Orthopädenfamilie Heine aus Lauterbach. Zwischen ihm und dem Verfasser dieses Beitrages hat sich eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben, in der sich heimatgeschichtliche und medizingeschichtliche Gesichtspunkte gegenseitig ergänzten. Hansen hat gerade zu Joseph Heine wertvolle archivalische Quellen aus dem Stadtarchiv Speyer herangezogen, die auch für den folgenden Beitrag sehr wertvoll waren.

Von der fränkischen Metropole Würzburg in die pfälzische Provinz (1803-1848)

Joseph Heine wird am 28. November 1803 als zweites Kind des Orthopädiemechanikers Johann Georg Heine und seiner Frau Anna geb. Förtsch in Würzburg geboren (Abb. 1). Er und seine zwei Jahre ältere Schwester Anna sind die einzigen Kinder aus dieser Ehe. Im gerade bayerisch gewordenen Würzburg ist der Vater, der als Messerschmied im Schwarzwald seine Laufbahn begann, inzwischen wohlbestallter Universitäts-Instrumentenmacher und Bandagist und eröffnet 1816 das erste orthopädische Institut auf deutschem Boden. Die Heines schicken ihren Sohn Joseph auf das Würzburger Gymnasium, das er 1824 verlässt, um ein Medizinstudium aufzunehmen. Er studiert und praktiziert bei Johann Lukas Schönlein, einem der Begründer der modernen (d.h. naturwissenschaftlich orientierten) Medizin. Ein Semester studiert er in München bei Johann Nepomuk Ringseis, einem Vertreter der "romantischen" Medizin und erklärten Gegner Schönleins , ehe er dann 1827 in Bamberg das Staatsexamen ablegt, wo ihm "der achte Platz unter 19 Concurrenten zu Theil wurde." Im gleichen Jahr promoviert er in Würzburg zum Dr. med. mit einer Dissertation über eine bestimmte Form der Tuberkulose. Diese ungestörte Laufbahn ist zweifellos durch die geordneten Verhältnisse des Elternhauses begünstigt worden, was vollends deutlich wird, wenn man die Laufbahn des in Schramberg geborenen Vetters Bernhard vergleicht, der weder ein Gymnasium besucht noch eine Dissertation geschrieben hat, sondern mit zehn Jahren in die Werkstatt des Onkels gegeben wird und seinen medizinischen Werdegang teilweise autodidaktisch beginnen muss. Für Joseph Heine beginnt mit dem Jahr 1828 eine Vertiefung seiner medizinischen Studien im Ausland: 1828/29 ist er in Paris mit Hautkrankheiten aber auch mit Chirurgie befasst, letzteres beim berühmten französischen Chirurgen Guillaume Dupuytren. Die Abreise Johann Georg Heines nach Holland zwingt den Sohn 1829 zur Rückkehr nach Würzburg, wo er zusammen mit seinem Vetter Bernhard ein Jahr lang das Karolinen-Institut leitet. In diesem Jahr vollendet Bernhard Heine seine Erfindung des Osteotoms, und der Vetter Joseph macht Verbesserungsvorschläge, die - wie er sich später rühmt - dazu beitragen, dass das Instrument "zu dem jetzigen Umfange seines Wirkungsvermögens emporwuchs". Joseph hält es nur ein Jahr am orthopädischen Institut in Würzburg aus. Im Herbst 1830 treibt ihn "das Verlangen weiterer Ausbildung nach Wien, wo (er) mit Benützung der Spital-Abtheilungen in pathologischer Anatomie unter Professor Wagner noch genug zu lernen fand." Von Wien geht er 1831 nach Warschau, wo nach der Niederschlagung des polnischen Aufstandes gegen die russische Fremdherrschaft Hunderte von Verwundeten zu behandeln sind. Außerdem ist die Cholera ausgebrochen, und Heine wird zunächst mit der Leitung eines Cholerakrankenhauses betraut, ehe er dann zusammen mit Bernhard Demme eine große chirurgische Abteilung betreut, wo auch das Osteotom zum Einsatz kommt. Eine eigene Typhuserkrankung zwingt Joseph Heine im gleichen Jahr zur Rückkehr nach Bayern, wo er eine Zeitlang als Arzt in Homburg am Main tätig ist. In dieser Zeit verarbeitet er die in Warschau gesammelten Erfahrungen in einer zweiten Veröffentlichung "Über das Verhältnis der nervösen Fieber zu Cholera und Intermittens (Wechselfieber)", die 1833 in München erscheint.
Nach weiteren Reisen und einer kurzen Tätigkeit als praktischer Arzt in Würzburg bewirbt er sich als Kantonsarzt im pfälzischen Waldmohr, heute Sitz der gleichnamigen Verbandsgemeinde im Landkreis Kusel. Mit seiner Vereidigung am 17. Mai 1836 in Zweibrücken als Kantonsarzt 2. Klasse wird Heine königlich bayerischer Beamter und bleibt es bis an sein Lebensende. Ganz im Sinne der vormärzlichen Reaktion gelobt er in der Eidesformel, "dass ich zu keiner geheimen Gesellschaft, oder zu irgendeiner Verbindung, deren Zweck dem Staate unbekannt, von demselben nicht gebilligt oder dem Interesse des Staates fremd ist, gehöre, noch in Zukunft gehören werde." Mit Waldmohr hat es den jungen Arzt in die hinterste pfälzische Provinz verschlagen, wo "bey dem größten Theile der Bevölkerung ein jammervolles Ringen um seine tägliche Subsistenz die Gesittung gegen den Arzt und seine Kunst nicht aufkommen lässt." Deshalb bemüht er sich noch im gleichen Jahr, wenn auch erfolglos, durch zwei Bewerbungen nach Frankenthal und nach Dürkheim in eine angenehmere Gegend zu kommen. Er bleibt bis 1840 Kantonsarzt in Waldmohr. In diese Zeit fällt auch der Tod des Vaters Johann Georg in Holland, wovon später noch die Rede sein soll. Schließlich hat der um "seine ärztliche Weiterbildung bemühte" Joseph Heine mit eine Bewerbung Erfolg. Am 7. Juli 1840 wird er zum Kantonsarzt 1. Klasse in Germersheim ernannt (Abb. 2). Er hat dieses Amt bis 1851 inne.


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Abb.2: Germersheim, wo Joseph Heine von 1840 bis 1851 als Kantonsarzt wirkte (Stich von M. Merian d. Ä. um 1640)

Ein "unpolitischer" Politiker (1848-1856)

Schon in seiner Würzburger Gymnasialzeit und erst recht im späteren Studium hat Joseph Heine Kontakte zu Vertretern der Burschenschaft. Er kommt aber im Gegensatz zu manchen Freunden nicht mit dem Gesetz in Konflikt, als in den zwanziger Jahren die Reaktionspolitik des "Systems Metternich" auch in Bayern gegen unliebsame Liberale vorgeht. Ein politisches Engagement wird aber 1848 sichtbar, als unweit von Germersheim auf der badischen Seite des Rheins der Ruf nach Freiheit und deutscher Einheit erhoben wird. In der Pfalz werden auf Kundgebungen gleichfalls liberale Forderungen erhoben. In München dankt Ludwig I. (König seit 1825) zugunsten seines Sohnes Maximilian II. ab, der ähnlich wie andere Landesherren durch die Berufung von "Märzministern" mit Erfolg versucht, der radikalen Bewegung ihre Spitze zu nehmen. Joseph Heine bewirbt sich im Frühjahr 1848 um einen Sitz in der Frankfurter Nationalversammlung, doch er unterliegt knapp. Im gleichen Jahr veröffentlicht er in Heidelberg die kleine Schrift "Politi- sche Gedanken eines Unpolitischen", in der er seine großdeutsche, antirevolutionäre Gesinnung kundtut. Ganz im Einklang mit seinem König Max II. befürwortet er eine Teilung Deutschlands durch die Mainlinie, mit preußischer Hegemonie im Norden, während der Süden unter österreichischer Führung stehen sollte. Parteiengezänk und Parteidisziplin lehnt er als unwürdig ab. Sein zweiter Versuch, ein politisches Mandat zu erringen, ist erfolgreich. Im Jahre 1849 wird er in die zweite Kammer des bayerischen Landtags gewählt, der am 10. September in München von König Max feierlich eröffnet wird. Eine große politische Leistung wird ihm nicht bescheinigt. Sein Schützling Anselm Feuerbach weiß zu berichten: "Heine steckt über und über im Landtage, er redet alle Augenblicke, allein ist hier nur eine Stimme, dass er bloß aus seiner Ideenwelt und verwirrt redet ...". Die politische Laufbahn endet auch verhältnismäßig rasch, nur bis 1851 nimmt Heine das Mandat wahr. Im Januar 1851 bewirbt er sich um die Stelle des Kantonsarztes in Landau - ohne Erfolg. Dann verlässt er die Pfalz für viereinhalb Jahre und geht als Stadtgerichtsarzt und Leiter des Krankenhauses nach Bamberg. Hier scheinen seine Beziehungen zu höchsten Regierungskreisen eine entscheidende Rolle gespielt zu haben, denn ein Jugendfreund Heines, Theodor von Zwehl (1800- 1875), ist seit 1849 bayerischer Innenminister. Die beiden kennen sich vom Würzburger Gymnasium und aus der Studienzeit, in der Zwehl als radikaler Burschenschaftler zeitweilig verhaftet und vom Studium in Bayern ausgeschlossen war. Jetzt und später ist der "Märzminister" dem Freund, der ihn auch medizinisch betreut, bei manchem beruflichen Vorhaben behilflich. Der Umzug in die fränkische Heimat bedingt den Verzicht auf das pfälzische Landtagsmandat. Damit endet auch die wenig bedeutende politische Laufbahn des "unpolitischen" Mediziners Joseph Heine.

Kreis- und Medizinalrat der Pfalz (1856-1875)

Über die Bamberger Zeit wissen wir so gut wie nichts. Joseph Heine wirkt dort zweifellos erfolgreich, wenn auch nicht ohne Probleme. Als Gerichtsarzt und Krankenhausleiter leidet er unter "Arbeitsüberlastung und Conflikten anderer Cathegorie, welchen er seit nahezu 4 Jahren keinen Urlaubstag aus dem Wege gieng." Dies mag der Grund für einen erneuten Wechsel des Betätigungsfeldes sein. Heine erhält 1856 die Stelle des Kreis- und Medizinalrates der Pfalz, mit einem "normamäßigen Gehalte von zwölfhundert Gulden des Jahres" (Abb. 3).

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Abb.3: Königliche Ernennungsurkunde Joseph Heines zum Regierungs- und Medizinalrat der Pfalz von 1856

Dies bedeutet, dass ihm die Oberaufsicht über das Gesundheitswesen dieses bayerischen Regierungsbezirkes (damals Kreis genannt) übertragen wird. Sitz der Kreisregierung ist Speyer, wohin Heine am 1. Dezember 1856 umzieht und wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1875 bleibt (Abb.4).

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Abb.4: Speyer, Amts- und Wohnsitz Joseph Heines von 1856 bis 1875) (Stich von J. Poppel um 1855)

In diesen neunzehn Jahren leistet er als Medizinalbeamter hervorragende Arbeit . Zu seinen Aufgaben gehört die Überwachung der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Apotheken in der gesamten Pfalz, er ist für die Durchführung von Impfungen sowie für die medizinische Begutachtung der Rekruten in der "Conscriptionskommission" zuständig, über seinen Schreibtisch laufen sämtliche Bewerbungen, und er ist als "Prüfungscommissär" oft einen Monat lang unterwegs. Eine eigene Praxis betreibt er nicht, doch behandelt er Freunde und Verwandte sowie mittellose Mitbürger, wobei er neben der medizinischen auch manche materielle Hilfe aus eigener Tasche leistet. Er hat Verbindung zu führenden Köpfen der deutschen Ärzteschaft, wie dem Schönlein-Schüler Rudolf Virchow (1821-1902), der von 1849 bis 1856 an Heines Heimatuniversität Würzburg lehrt. Diesen Kontakten ist es zuzuschreiben, dass im Sommer 1861 die 36. Versammlung der deutschen Ärzte und Naturforscher in Speyer stattfindet. Heines Bemühungen bei der Durchführung dieser Veranstaltung finden die ausdrückliche Anerkennung des bayerischen Königs Max. Joseph Heine betreibt in dieser Zeit auch wissenschaftliche Studien, die an der medizinischen Praxis orientiert sind. Er beschreibt in einer Veröffentlichung 1859 die "Heine-Brücke'sche Gefäßstrictur", ein weiteres, wenn auch weniger bedeutendes Beispiel für den Namen Heine bei der Bezeichnung einer Krankheit (Josephs Vetter Jakob hatte 1840 als erster Mediziner die spinale Kinderlähmung beschrieben, die noch heute auch "Heine-Medinsche Krankheit" heißt). Als 1873 in der Pfalz eine Choleraepidemie ausbricht, nimmt dies der siebzigjährige Heine zum Anlas für eine letzte Veröffentlichung über die epidemische Cholera und ihre Behandlung. Zwei Jahre später tritt er in den Ruhestand und wird mit dem bayerischen Personaladel ausgezeichnet. Er übersiedelt nach München, wo er seinem lange vernachlässigten Steckenpferd, den altgermanischen Studien, nachgeht. Im Herbst 1877 erkrankt er schwer und stirbt am 4. November in der bayerischen Hauptstadt.

Das Verhältnis zum Vater und zur Familie

Für den heimatgeschichtlichen Betrachter ist das Verhältnis des Würzburgers Joseph Heine zu seinem Lauterbacher Vater von besonderem Interesse. Hier prallen Gegensätze aufeinander, und hier finden sich interessante Parallelen in den beiden Persönlichkeiten. Aus Josephs Bewerbungsschreiben in seiner Personalakte wissen wir, dass er zusammen mit seinem Vetter Bernhard von Johann Georg Heine schon früh in der orthopädischen Werkstatt ausgebildet wurde. Nach anderen Quellen war er vom Vater als Nachfolger auserkoren, ein Wunsch, dem sich der Sohn durch ein allgemeines Medizinstudium widersetzt. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen haben wohl das Verhältnis von Vater und Sohn in den folgenden Jahren bestimmt. Als der Vater 1829 Würzburg und die Familie verlässt, muss dies für den sechsundzwanzigjährigen Sohn ein schwerer Schock gewesen sein. Ein Angebot des Vaters, in Brüssel ein Haus als Heilanstalt zu übernehmen, lehnt er ab ; er vollendet lieber seine medizinische Weiterbildung in anderen europäischen Städten. Aus der Ferne beobachten Vater und Sohn ihr jeweiliges Tun: Mit Besorgnis erfährt Joseph von den abenteuerlichen Versuchen des Vaters in Bereichen der Medizin, für die er keinerlei Ausbildung besitzt. Als Joseph und Bernhard während ihrer gemeinsamen Betreuung des Karolinen-Instituts die Heinesche Orthopädie durch Krankengymnastik ergänzen, tut der Vater in Holland dies als "Bajazzenstreiche" ab. Zu einer Begegnung kommt es erst im Sommer 1838 kurz vor dem Tod Johann Georgs. Der junge Kantonsarzt in Waldmohr erhält einen fünfwöchigen Urlaub zur Reise nach Den Haag, doch kann er dem schwerkranken Vater nicht mehr helfen, vor allem auch, weil dieser auf seiner eigenen Behandlungsmethode mit "fortwährendem Baden und leerem Schleim" beharrt, und die "deutliche Verschlimmerung steigerte ihn nur in den eigenen irrigen Bemühungen." Johann Georg Heine stirbt am 7. September 1838, Joseph bleibt noch bis Mitte September in Holland und kehrt dann mit einer Woche Verspätung zu seinen Dienstgeschäften zurück. Am Begräbnis des Vaters in Würzburg am 22. September kann er nicht teilnehmen. Diese letzte Begegnung und die vorangegangenen Konflikte mit dem Vater hat Joseph Heine vier Jahre später in einem Buch "Physio-pathologische Studien aus dem Leben von Vater und Sohn, eine Gedächtnisschrift für Johann Georg Heine den Orthopäden" verarbeitet, dessen drittes Kapitel mit der Überschrift "Urtheil" Abrechnung und Würdigung zugleich ist, und das auch interessante Einblicke in die Persönlichkeit des Sohnes gibt (Abb. 5).

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Abb.5: Titelblatt von Joseph Heines Gedächtnisschrift "Physio-pathologische Studien" für seinen Vater Johann Georg Heine aus dem Jahr 1842

Der Sohn charakterisiert den Vater als egozentrisch, unbelehrbar, rücksichtslos gegen Ehefrau und Familie. Jedes Interesse an Literatur und Kunst habe ihm gefehlt, er sei "absolut monarchisch in seinen politischen wie individuellen Gesinnungen" gewesen, für seine medizinischen Höhenflüge der Spätjahre habe ihm "fast ganz das unentbehrliche Bildungsmaterial" gefehlt. Harte Worte über den Menschen und den Möchtegernmediziner Johann Georg Heine, denen dann ein überschwängliches Loblied auf den Orthopäden folgt, dessen Leistung so groß war, dass "Kranke, welche noch nach Jahrhunderten an derselben Heilquelle sich laben werden, Brustbilder von Georg Heine ... als Votivbilder anhängen sollten." In dieser Schrift charakterisiert sich Joseph Heine indirekt selbst als der akademisch gebildete, selbstbewusste Arzt, der die Pflichterfüllung über alles stellt, dem Experimente ohne wissenschaftliches Fundament zuwider sind. Und dennoch lassen sich wiederum im Charakterbild von Vater und Sohn verwandte Züge entdecken, denn, wie noch zu zeigen sein wird, ist auch Joseph Heine ein egozentrischer Mensch, dessen Rechthaberei bis zum Jähzorn und zur Tätlichkeit geht.
Ein besseres Verhältnis hat Joseph Heine zur übrigen Familie. Immer wieder macht er von der Pfalz und von München aus Besuche im heimischen Würzburg, wo die Mutter noch bis 1856 lebt. Mit seinem Vetter Bernhard arbeitet er, wie bereits geschildert, beruflich zusammen. Seit 1837 ist Bernhard auch sein Schwager, denn dieser heiratet Josephs Schwester Anna, mit welcher der Bruder auch nach dem frühen Tod Bernhards (1846) verbunden bleibt. Seine Nichte Anna, durch Heirat zur Baronin von König geworden, besucht er von Speyer aus in Stuttgart, ihren Gemahl, den königlich württembergischen Legationsrat von König behandelt er jahrelang "in distantia", aber auch gelegentlich persönlich, wie ein Urlaubsgesuch des 70jährigen Medizinalrats aus dem Jahr 1873 ausweist. Auf eine Verbindung zum anderen Vetter, Jakob Heine in Cannstatt, finden sich keine Hinweise in den Quellen.

Das Ehegesuch von 1862

Bei seiner Berufung von Bamberg nach Speyer im November 1856 bittet Heine um Hinausschiebung des Dienstantritts um einen Monat, weil ihn als "unverheiratheten Mann die Anordnung des Packens länger aufhält ..". Somit wissen wir, dass er bis zu diesem Zeitpunkt Junggeselle war, und er ist es auch geblieben, obwohl er am 12. Juli 1862 (also im 59. Lebensjahr) an das Regierungs- präsidium der Pfalz ein Gesuch richtet, in dem er um die Genehmigung einer Eheschließung bittet, wie es für höhere Beamte in Bayern Vorschrift ist. Die Auserwählte ist Freifräulein Justina von Stengel, ledige Tochter des verstorbenen königlichen Postmeisters zu Bamberg, 35 Jahre alt, wohnhaft in Speyer. Die Genehmigung wird erteilt, und Heine wird rückwirkend sein Jahresgehalt auf 1400 Gulden erhöht. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist diese Ehe nie geschlossen worden, jedenfalls nicht in Speyer. Entsprechende Nachforschungen des Doktoranden Heinz Hansen blieben ohne Ergebnis. Auch alle übrigen biographischen Quellen und Nachrufe erwähnen keine Ehefrau. Es muss also angenommen werden, dass aus irgend einem Grund aus der geplanten Heirat nichts geworden ist.

Zahlreiche Freundschaften - Verbindung zur Familie Feuerbach

Seit der Studienzeit hat Joseph Heine freundschaftliche Verbindungen zu Kreisen außerhalb der Ärzteschaft. Mit dem erwähnten Theodor von Zwehl ist er bis ins Alter verbunden geblieben. Unter den Quellen befindet sich ein Telegramm aus dem Jahr 1866, als Zwehl Regierungspräsident von Oberfranken in Bayreuth ist, in dem dessen Ehefrau Heine ans Krankenlager ihres Mannes ruft. Zwehl ist Innenminister, als Heine im Münchner Landtag sitzt. Er beschleunigt die Urlaubsgesuche des Freundes. In seiner Zeit als Kultusminister (1852-1864) achtet er darauf, dass dem bayerischen König Heines Veröffentlichungen vorgelegt werden. Ein weiterer Freund ist der Verleger Cotta. Mit der Familie von König ist Heine auch schon vor der Heirat seiner Nichte mit dem Baron freundschaftlich verbunden. Der Geschichtsphilosoph Ernst von Lasaulx (1805-1861) gehört zu den Freunden, mit denen Heine den Urlaub im Gebirge verbringt. Lasaulx widmet seine 1856 erschienene "Philosophie der Geschichte" dem Freund, weil der ihm durch eine im übrigen sehr fragwürdige Heilmethode seine Tochter, das einzige überlebende Kind von insgesamt sechs, gerettet hat. Abb. 6 a und b)
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Abb.6 a und b: Titelblatt der "Philosophie der Geschichte" von Ernst Lasaulx und Widmung des Verfassers für Joseph Heine (1856)


Die nachhaltigste Freundschaft, die auch die pfälzischen Heimatforscher besonders interessiert hat, ist die mit der Familie Feuerbach. Den Onkel des Malers, den Mathematiker Karl Wilhelm (1800-1834), kennt und bewundert Heine seit seiner Studienzeit und überträgt die Freundschaft nach dessen frühem Tod auf den Bruder Anselm Feuerbach (1798-1851), der in Freiburg Archäologie lehrte, und auf dessen zweite Frau Henriette. Als Freund der Familie entdeckt Heine früh das Talent des jungen Anselm (1829- 1880), in dem er "ein kindliches Herz bei der Gereiftheit und Klarheit eines Mannes, eine Künstlernatur von echtem und reinstem Schlag erkennt", wie er der Stiefmutter in einem Brief mitteilt. Heine wird in den späten vierziger Jahren zum Gönner des jungen Malers, dem er immer wieder zehn oder zwanzig Gulden zusteckt oder zuschickt. Anselm Feuerbach berichtet hierüber in seinen Briefen an die Eltern. Gern hätten Heine und Zwehl den jungen Künstler zu Wilhelm Kaulbach nach München geschickt, darum verweigert ihm der Innenminister zunächst einen Pass für die geplante Reise nach Belgien. Doch der zwanzigjährige Feuerbach lässt sich nicht an die Kette legen und reist 1850 dann doch nach Antwerpen. Auf der Durchreise besucht er Heine in Germersheim, damit der Geld für die Reise "rausrückt" , doch dann gesteht er: "Heine war mürrisch, und ich muss mich gleich verabschieden auf höfliche Weise, ich habe ihn satt, sehr."
Damit bricht die Verbindung - zumindest nach Ausweis der vorhandenen Quellen - ab. Anselm geht nach Paris und schließlich nach Rom, und Heine verliert ihn aus seinem Gesichtskreis. In dieser Episode sind zwei gegensätzliche Charakterzüge Joseph Heines gut zu erkennen: Er ist - wie alle Heines, die es zu etwas gebracht haben - großzügig und hilfsbe- reit. Anselm Feuerbach ist gewiss nicht das einzige Beispiel seiner Hilfsbereitschaft. Doch zeigt sein Verhalten, als der junge Künstler seinen eigenen Weg gehen will, eine gewisse Starrheit und Eigensinnigkeit, die dem erfolgreichen Arzt auch von anderen bescheinigt wird. Hier sehen wir den Sohn Johann Georgs, der gleichfalls jeglichen Widerspruch zurückweist. Bei Joseph Heine zeigt sich dieser Charakterzug auch in seiner Personalakte: 1842 gerät er in einen Wirtshausstreit mit einem Mitbürger, wie er ein Beamter, bei dem es offenbar zu Tätlichkeiten kommt. Beide Beamte werden von der Behörde abgemahnt, Heine wehrt sich rechthaberisch in einer langen Eingabe, aus der wir jedoch nicht den Anlas des Streites erfahren. Konkreter ist ein Streit vom Dezember 1845, wo Heine die Erwähnung des "Freundes Hein" in einem Zeitungsartikel, der einen anderen Arzt betrifft, als persönlichen Angriff deutet und bei der Zensurbehörde protestiert. Der Vorgang nimmt rund zwanzig Seiten in seiner Personalakte ein. Eine Episode aus der ärztlichen Praxis mag dieses zwiespältige Charakterbild noch mehr verdeutlichen. Als dem Medizinalrat ein reicher Jude eine hohe Summe bietet, wenn er seine todkranke Frau behandle, wird Heine so wütend, dass es zu einem regelrechten Ringkampf kommt, bei dem die beiden Kontrahenten die Treppe hinunterstürzen. Heine betrachtet das großzügige Angebot als Zumutung und gerät bei seiner Zurückweisung in Jähzorn. Schließlich hilft er doch und rettet die Patientin.


Mit diesem Beitrag über Joseph Heine, von dem leider kein Portrait aufzufinden war, ist die Betrachtung der erfolgreichen Vertreter der Lauterbacher Familie Heine abgeschlossen. Ausgehend vom heimatgeschichtlichen Interesse, konnte gezeigt werden, dass im 19. Jahrhundert in bestimmten Bereichen - die Medizin gehört dazu - ein rascher sozialer Aufstieg möglich war. So wurde der Sohn des Bierbrauers Joseph Heine einer der führenden Orthopäden Europas, sein Sohn Joseph ein hoher Medizinalbeamter im Köngreich Bayern. Der Sohn des Weißgerbers Franz Xaver Heine, Bernhard Heine, wurde ein in ganz Europa bewunderter Knochenspezialist. Jakob Heine, der Sohn des Sonnenwirts Martin Heine, fand weltweite Anerkennung als Entdecker der spinalen Kinderlähmung, während sein Sohn Carl Wilhelm unter den Chirurgen des 19. Jahrhunderts eine hervorragende Stellung einnahm. Drei der fünf wurden in den Adelsstand erhoben, und alle hatten Verbindung zur geistigen Elite ihrer Zeit.



Literatur (Auswahl):


Memminger, August:
Die Würzburger Heine
Separat-Abdruck aus dem "Würzburger Lokalanzeiger", Würzburg 1904

Hans, Ludwig:
Dr. Joseph Heine - Kantonsarzt zu Germersheim und Abgeordneter im bayerischen Landtag (1849-1852)
in: Heimatbrief der Stadt Germersheim am Rhein, Germersheim 1991


Hirsch, August:
Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, Berlin 1931

Uhde-Bernays, Hermann (Hg.):
Henriette Feuerbach, Ihr Leben in ihren Briefen, Berlin/Wien 1931

Kern, G.J. und Uhde-Bernays, Hermann(Hgg.):
Anselm Feuerbachs Briefe an seine Mutter, 1. Band Berlin 1911

Heine, Joseph: Physio-pathologische Studien aus dem ärztlichen Leben von Vater und Sohn, Stuttgart/Tübingen 1842

Personalakte des Dr. Joseph Heine
aus dem Landesarchiv Speyer, Bestand H2, Nr. 263

Hansen, Heinz:
Die Orthopädenfamilie Heine - Leben und Wirken der einzelnen Familienmitglieder im Zeichen einer bedeutenden deutschen Familientradition des neunzehnten Jahrhunderts
Dissertation Dresden 1993
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